FRAME. Zwei

17.12.2021

Ein Gespräch zwischen...
zwei Fremden

 

Ein Abend Ende November 2021. Die Stadt ist geprägt von einem grauen Himmel, ewigen Baustellen und wiedereinsetzender Isolation. Es ist eine Zeit, in der spontane neue Begegnungen nur noch selten sind und gemütliche Sofa-Abende mit Kakao im Schlagabtausch mit einsamen Stunden bei Netflix stehen. 

In dieser Zeit treffen sich Vanessa und Alexandra online. Sie kennen sich nicht. Sie schwelgen in einer zufällig geteilten Erinnerung:

 

 

V.: Ich erinnere mich noch an den Anfang, als erstmal alle draußen standen und eine Projektion auf die Fassade des Theaters geworfen wurde. Als erstmal gar nicht klar war, was passiert hier und wann geht’s los? Es ist ja nicht so wie ‚Ich geh jetzt in’s Theater, setze mich hin und weiß ungefähr, was gleich passiert.‘

Ein Abend im September, die beiden begegnen sich das erste Mal, ohne es zu wissen. Die Sonne geht gerade unter, eine Gruppe Fremder steht vor dem AlarmTheater und wartet ab. 

 

vereinzelt. gemeinsam. erwartend.

 

A.: Ich mochte am allerliebsten, als die Hand rauskam und man so reingebeten wurde. Also, dass dann die Tür aufgeht und man irgendwie durch die Leinwand geht.

V.: Ich glaube, da war so ein kurzer Moment - quasi der Aufruf "jetzt darfst du reingehen, komm rein". Aber ich glaube, das hat einen Moment gedauert, weil das nicht alle direkt verstanden haben.

 

Wir dürfen jetzt wirklich rein, ins Theater. Die Gruppe betritt das Haus – ein handelndes Kollektiv.

 

 

A.: Ich hatte das Gefühl, dass es ohne die Menschen nicht funktionieren würde. Drinnen ist dieser Film gelaufen. Alleine wäre das etwas völlig anderes gewesen. 

V.: Ja, das wär' aber bestimmt auch spannend mal, so ganz alleine im Theater.

A.: Haha, ja. Aber auch später auf der Wiese. Wir haben für Doppio Brodo gemeinsam das Zelt getragen. Alleine hätte er das nicht gekonnt. Das haben wir alle zusammen gemacht.

V.: Man wäre da jetzt nicht einfach weggegangen.

A.: Als Gruppe, wie eine Gemeinschaft.

 

 

Austausch. Selbsterkenntnis. Begegnungen in der Groteske.

 

A.: Die Aktion draußen lebte ja auch davon, dass man entweder verstanden hat, was von einem gewollt wurde oder nicht… 

Oder dann irgendwie schnell weggelaufen ist, um nicht zu helfen. Ich meine, da waren ja trotzdem auch Hemmungen dabei.

[…]

V.: Wir haben uns alle so ein bisschen komisch verhalten. Auch durch den Clown; ein Clown ist ja immer seltsam, komisch, grotesk. Ansonsten im Leben würde man ja nie einfach dem komischen Clown folgen. In dieser Kunstaktion schon.

 

 

Deshalb hat es für mich auch funktioniert, da irgendwie zu interagieren. Ich habe auch ein Polaroid geschenkt bekommen, mein erstes. Das steht jetzt hier. Dafür wollte ich mich bedanken. Dabei kann ich gar kein Italienisch und Brodo spricht ja ständig Italienisch. Dann hat er noch was gesagt, da war ich auch raus… dann hat er es irgendwann auf Deutsch gesagt. Er wollte einfach meinen Namen wissen (lacht).

A.: Ja, das finde ich voll schön. Ohne Interaktion wäre es, glaube ich, auch einfach schwer gewesen. 

  

Kulturhunger. Begegnung. Bewegung.

 

A.: […] Ich hatte auch das Gefühl, es sind einfach Häppchen, die einem hingeworfen wurden und ich war halt sehr kulturhungrig.

V.: Es war weit weg von einem klassischen Theater-Ablauf, dem Besuch eines Stücks im Saal. Anders lebendig, irgendwie zugänglicher.

 A.: Also ich finde auch irgendwie die Idee, dass Kunst immer in dem Sinne deep sein muss, dass man sich irgendwie den Kopf darüber zerbricht, muss nicht sein. Dann ist es ja auch nur eine sehr, sehr elitäre Idee von Kunst.

V.: Bei mir ist es dann auch manchmal so, dass ich mich sorge: Und was ist, wenn ich nichts verstehe?

 

 

V.: Man fand alles lustig, es ist okay, dass Dinge schiefgehen.

 A.: Ich hab’ mich gefreut, zu lachen, auch mit Menschen, die man vielleicht gar nicht kannte.

 

 

 

Kunst und Menschen sind immer noch da. Es hat was mit mir gemacht.

 

 

 

Was nehmen beide daraus mit? Vanessa schaut nachdenklich nach oben. In dem Bücherregal über ihrem Schreibtisch steht das Polaroid, das sie an dem Abend geschenkt bekommen hat. Es zeigt einen Moment der Gemeinschaft, der Unterschiedlichkeiten und der kurzen Sorglosigkeit.

V: Ich kann mich übrigens ehrlich gesagt gar nicht daran erinnern, dich gesehen zu haben.

A: Geht mir auch so, ich könnte nicht sagen, ob du da gewesen wärst.

 


Fotos: Cornelia Lembke, Rike Meyer 

 

 

 

 

 

  

 

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