wechselweise - Der Augenblick ist mein: Phase II (6/8)

15.06.2020

2017 setzten die Künstlerinnen Rebecca Budde de Cancino und Vânia Medeiros das Kunstprojekt "Der Augenblick ist mein" um, in welchem sie mit zwei Frauen zusammenarbeiteten; mit einer ehemals Inhaftierten (Anna) und einer zu diesem Zeitpunkt noch Inhaftierten (Marion). Zusammen entstand ein Buch. Doch die Geschichte der beiden Frauen hört hier nicht auf.
In "Der Augenblick ist mein - Phase II" greift Rebecca Budde de Cancino die nie losgelassenen Verbindungen wieder auf und begleitet Marion und Anna in ihren neuen Leben: ein Prozess, Freiheit, das Selbst, Reflektion, Träume und die Vergangenheit vor und im Knast begleiten stets...

 

 

Ute Hindahl - Bildhauerin

 

„Also das Buch ‚Der Augenblick ist mein‘ war und ist für mich tatsächlich ein ‚Augenöffner‘: Nicht nur, dass es interessant ist zu lesen, sondern es macht bewusst, dass wir in einer Gesellschaft leben in der es Parallelgesellschaften gibt, wie es das wohl in jeder Gesellschaft gibt. Und es gibt Parallelgesellschaften, die man so wenig wahrnimmt im Alltag, die so unsichtbar sind für jeden, der damit nicht in Berührung kommt. Und das, was mich dabei so anrührt ist, dass wenn man sich die Interviews durchliest, dass einem immer wieder bewusst werden kann, wie schmal der Grad ist; dass die Tatsache, dass eine falsche Entscheidung einen hinter Gitter bringen kann jedem Menschen passieren kann und potenziell auch mir. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke und sehe, was ich teilweise für Entscheidungen getroffen habe, die auch gut hätten ins Auge gehen können, die gut hätten einen ganz anderen Verlauf hätten nehmen können, dann hätte ich eine von den Frauen dort sein können.“ - Andrea

 

 

 

Andrea Brakelsberg - Traumatherapeutin

 

„Ich arbeite als Diplom-Psychologin psychotherapeutisch mit komplex traumatisierten Menschen, und vor allem Frauen. Das heißt, ich arbeite mit Menschen, denen als Kind genau das passiert ist, was Anna erzählt. Die also in ihrer gesamten Kindheit emotionale, verbale und sexuelle Gewalt erfahren haben.  
Daher weiß ich, wie sehr diese Kumulation an Gewaltereignissen die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen verändern kann. Und ich weiß, wie stark Täteranteile in einer Person sein können, wie groß aber vor allem auch die inneren Kindanteile von damals sind, die auch heute noch in ihrer Bedürftigkeit noch präsent sind. Und gerade weil ich weiß, wie sehr diese Frauen in ihrem Alltag zu kämpfen haben; wie sie aus den alten Filmen nicht rauskommen, finde ich es unheimlich beeindruckend wie Anna das zwei Jahre in der Forensik ausgehalten hat, das ist mir ein Rätsel, wie sie das geschafft hat.
Aber es ist ein gutes Beispiel für das buddhistische Prinzip: Gift in Medizin zu verwandeln: Dass man zwar nicht wählen kann, was die Welt einem für Herausforderungen vor die Füße wirft, dass man aber sehr wohl entscheiden kann, wie man die Dinge annimmt und wie man mit den Dingen umgeht. […]

 

Zum anderen zeigt diese Stelle, wenn Anna sich wundert, was sie für schöne Texte, Bilder und Zeichnungen von diesen ‚bösen‘ Menschen, von Pädophilen und Vergewaltigern, bekommt, dass wir häufig in Frage stellen, dass ‚böse‘, gewalttätige Menschen zu etwas Gutem in der Lage sind.“ - Andrea

 

Dr. Alexander Horstmann - Sozialanthropologe

 

"Mich beeindrucken zu tiefst ihre Sensibilität, ihr Feingefühl und vor allem ihr Reflexionsvermögen. Die Stärke, durch andere hindurchzusehen, aus Feinden Verbündete zu machen. Ich sehe gewachsenes Selbstbewusstsein neben enormer Zerbrechlichkeit, das ist so ganz dicht beieinander und schwankt von Moment zu Moment.

 

Ich denke, es geht im Gefängnissalltag großenteils um Aushalten und darum dafür Überlebensstrategien zu entwickeln. Die Bedeutung von Büchern für Marion ist sehr interessant und das Theater für Anna; als Mittel persönlicher Entwicklung, als Befreiung von Zwängen, der Vergangenheit und von Traumata. Ich glaube, dass sich bei beiden Frauen die ‚kriminelle Energie‘ aus traumatischen Erfahrungen heraus entwickelt hat und dass sie somit doppelt gefangen waren: im Gefängnis und ihrem Trauma. Ihre Traumatherapie war das Geschichten-Aufzeichnen, das Schaffen von Narrativen." - Alexander

 

 

 

 

Judith Patzelt - Schauspielerin

 


 

Das Projekt "Der Augenblick ist mein - Phase II" entstand im Rahmen von "wechselweise".
Sehen Sie das Buch sowie den Film, die aus der Arbeit des Vorgängerprojektes "Der Augenblick ist mein" hevorgegangen sind. Weitere Informationen zur Arbeit von Rebecca Budde de Cancino hier.

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